Sonntag, 15. Juni 2025

Exkursion der MSS11 in das KZ Natzweiler-Struthof

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Wenn man ein Konzentrationslager besucht, sollte man sich Zeit nehmen.

Man sollte es in Ruhe für sich persönlich verarbeiten können, über das Geschehene und den Umgang damit reflektieren können.

Das konnten in Natzweiler-Struthof nur die Wenigsten.

Wir sind frühmorgens aufgebrochen. Wir? Das war die „MSS11“ unter Begleitung einiger Lehrer. Wir waren am 08. Mai dort, dem „Tag der Befreiung“. Vor genau 80 Jahren hatte zumindest der europäische Teil des Zweiten Weltkrieges geendet. Ein wahrhaft historisches Datum also. Aber zurück in die Gegenwart. Zunächst im Bus ausgelassene Stimmung. Wie kann man es uns verübeln? Man ist mit Freunden unterwegs und das macht einfach Spaß, selbst in dieser Situation. Auf der Rückfahrt war es übrigens ähnlich.

Überraschend war es für mich aber irgendwo nicht, als sich in weiten Teilen der Klassenstufe an der Stimmung nichts änderte, als wir ankamen. Dabei ist Natzweiler-Struthof eine besonders bedrückende Stätte.

Als jemand, der unter Anderem schon Terezin, Lidice, Paneriai, Riga, Bergen-Belsen und viele weitere besucht hat, kann ich in dieser Hinsicht für mich vergleichen.

Das Konzentrationslager liegt auf der Kuppe eines Berghangs der Vogesen in Ostfrankreich, etwa 800 Meter über dem Meeresspiegel. Und das bringt schon direkt zwei Aspekte mit sich, die das Lager für Häftlinge, neben den damals allseits bewährten physischen und psychischen Foltermaßnahmen, zur Hölle machten. Zum einen: Das Wetter dort ist fast ausschließlich nass und kalt. Dagegen schützte die dünne Kleidung der Häftlinge nicht. Zum anderen: Die Steigung. Die Häftlinge mussten die Treppen des Lagers mit schweren Geräten oder anderen Lasten, wie gebrochenen Steinen aus dem Steinbruch, wegen dem das Konzentrationslager gebaut wurde, hinauf und hinunter gehen. Hinauf und hinunter. Immer wieder. Jeden Tag aufs Neue.

Abgesehen davon war in dem Lager ein Arzt aktiv, der im Auftrag der „Reichsuniversität Strasbourg” aus heutiger Sicht zutiefst rassistische Studien durchführen ließ, wie sie heute an keiner Universität auch nur vorstellbar wären. So kam es in dem Lager zu hunderten, wenn nicht zu tausenden Menschenversuchen - jeder einzelne von ihn auf andere Art unvorstellbar grausam. Insgesamt starben hieran, aber auch an Hunger, Kälte, Krankheiten etc. 17.000 Menschen in Natzweiler-Struthof und seinen Nebenlagern.

Ich habe beobachtet, und mir fiel auf, dass sich die Stufe in einer ganz bestimmten Art und Weise in zwei Teile auftrennte: Es gab die Leute, die hinsehen wollten und die, die das nicht wollten, die stattdessen über Kochen geredet und gelacht haben, oder darüber, warum Erdkunde gerade so schwierig ist. Mehr als drei Viertel der gesamten Klassenstufe betraten zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal in ihrem Leben ein Konzentrationslager.

Ich habe denen, die hinsehen wollten, so gut wie möglich beim Übersetzen und Erklären geholfen, ich war auch schon einmal vorher in Natzweiler-Struthof gewesen und mit zwei Stunden war unser Aufenthalt mit der Stufe zeitlich sehr knapp bemessen. In der Baracke, in der heutzutage das Museum untergebracht ist, die übrigens in den 1960ern bei einem nationalsozialistisch motivierten Anschlag abbrannte und wieder aufgebaut werden musste, hatten wir nur etwa 20 Minuten Zeit, uns alles anzusehen. Viel zu wenig, besonders für die, die hinsehen wollten. Für mich, der einen entsprechenden Besuch als Vergleich aufweisen konnte, wirkte das alles hier ein wenig gehetzt. Raum zum Nachdenken und Reflektieren blieb wenig.

Was aber nicht heißen soll, dass der Besuch in dem Konzentrationslager nicht effektiv war. Schülerinnen und Schüler und alle dazwischen und außerhalb konnten sich immerhin ein Bild von der grauenhaften Realität von Deportation, Haft, Folter und Tod in den Lagern des nationalsozialistischen Regimes machen. Es wurde trotz allem offen über die Grausamkeiten und Verbrechen geredet, und die Lehrer hatten einen gut strukturierten Überblick über das Konzentrationslager für uns vorbereitet. Die Zeit wurde so gut, wie im Kontext möglich, genutzt. Und dafür hat es sich gelohnt.

Insofern würde ich auch den Vorschlag der aktuellen Bundesministerin für Bildung nach einem verpflichtenden Besuch eines Konzentrationslagers während der Schulzeit unterstützen. Und ihnen, meinen Leserinnen und Lesern und allen dazwischen und außerhalb, würde ich einen ähnlichen Standpunkt nahelegen.

Es ist besser als nichts.

Wenn schon nicht die Eltern mit ihren Kindern die Konzentrationslager besuchen und offen darüber reden wollen, dann sollen es wenigstens die Schulen versuchen müssen.

Natzweiler-Struthof, ich komme wieder.

S. I. out.

Weitere Informationen

  • geschrieben von: Mathis Wichert (MSS 11)
  • Fotos: KOH

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